Zu zahlreichen Konzerten und Gottesdiensten zieht es besonders in der Adventszeit und zu Weihnachten viele Menschen in die Kirchen im Norden. Ohne die Musikerinnen und Musiker wäre das kaum denkbar, denn die Musik besitzt in vielen Gemeinden eine existenzielle Schlüsselfunktion.
Sie verleiht der Verkündigung zusätzliche emotionale Kraft und künstlerisches Profil- und bindet durch Chöre und Ensembles auch Laienmusiker ein. Mancherorts in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen wird das aber immer schwieriger.
Nebenamtliche Stellen Problem in HH und SH
In den Sprengeln Schleswig und Holstein sowie Hamburg und Lübeck der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland liegt das Problem bei der Besetzung der nebenamtlichen Stellen, teilte Landeskirchenmusikdirektor, Hans-Jürgen Wulf der Deutschen Presse-Agentur mit. «Hier gibt es starke Unterschiede zwischen Stadt und Land, je weiter weg von den wenigen Metropolen meiner Sprengel, umso schwieriger wird es.»
Die Ausbildungskurse für nebenamtliche Kirchenmusikerinnen und Musiker werden aktuell gut angenommen, «das gilt für die Posaunenarbeit, den Fachbereich Popularmusik und die sogenannten klassischen Angebote gleichermaßen». Allerdings gibt es regionale Unterschiede. Hauptamtliche Stellen konnten bisher immer qualifiziert besetzt werden, teilte Wulf mit. Allerdings schwanke die Zahl der Bewerbungen. «Manchmal brauchen wir daher mehr Zeit oder müssen gezielt werben.»
Nachwuchsförderung in Schleswig-Holstein und Hamburg
In Kirchenkreisen mit gezielter Nachwuchsförderung - sowohl für Bläserarbeit als auch für Orgelnachwuchs - sei die Resonanz sehr gut. Die Kooperation mit Schulen spiele dabei eine große Rolle. In Itzehoe, Bad Segeberg und in der Propstei Lauenburg sowie in Hamburg gibt es demnach in Schulen und Gemeinden Projekte, bei denen die Orgel erklärt wird und auch gespielt werden kann.
Die Kinderchorarbeit in der Kirche erlebe nach Corona mancherorts einen neuen Aufbruch. Hinzu kommen laut Wulf Sing-Aktionen in Kitas, als «Graswurzelarbeit für die Kirchenmusik der Zukunft».
Gitarre und Posaune: Nordkirche will Kinder fördern
Die Orgel steht laut Nordkirche nach wie vor im Mittelpunkt der sogenannten klassischen Ausbildung. «Seit den 90er Jahren qualifizieren wir aber sehr bewusst auch im Bereich der Popularmusik, das heißt neben den auch dort üblichen Tasteninstrumenten auch an der Gitarre sowie im Bandbereich», teilte der Kirchenmusikdirektor mit.
Auch die Nachwuchsförderung für Posaunenchöre laufe intensiv. «Und oft kommt der Impuls zu einer vertieften kirchenmusikalischen Ausbildung aus dem Erleben einer gelingenden Arbeit vor Ort, mit Gruppen, in Gottesdiensten und Konzerten.»
Kostenloser Orgelunterricht in Schwerin
«Fehlender Nachwuchs ist bei uns am Dom zurzeit kein Problem. Die neu geschaffene Stelle eines Popularkirchenmusikers für den Verbund der Schweriner Gemeinden konnte problemlos besetzt werden», teilte Jan Ernst der Deutschen Presse-Agentur mit. Bis Oktober 2025 war er Kantor am Schweriner Dom. Hier werden seit einigen Jahrzehnten junge Menschen an der Orgel ausgebildet. Sechs von Ihnen arbeiten nun laut Ernst als hauptberufliche Kirchenmusiker - drei weitere sind im kirchenmusikalischen Studium.
Im orgelreichen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern versucht man auch Kinder und Jugendliche für die Orgel zu interessieren. Der Unterricht ist kostenfrei - das sei auch ein Grund für den Erfolg der guten Zahlen. «Zurzeit gibt es sechs Jugendliche und fünf erwachsene Orgelschüler am Dom.» Auch im Bereich der Friedensgemeinde Schwerin wird demnach unterrichtet.
Orgelunterricht auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern
«Im hauptberuflichen Bereich können wir alle frei werdenden Stellen mit ganz wenigen Ausnahmen schnell wieder besetzen», bestätigt auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland im Sprengel Mecklenburg und Pommern der dpa. Schwieriger sei das im nebenberuflichen Bereich, hier fehlt es gerade im ländlichen Bereich häufiger an Nachwuchs. Gründe seien demnach generell weniger Kinder und Jugendliche - oft fehle die musikalische Sozialisation und die Kirchenbindung sei gering.
Die Zahlen bei den Ausbildungsangeboten für nebenberufliche Kirchenmusikerinnen und -musiker steige aktuell aber deutlich. Besonders erfolgreich sei demnach ein Projekt im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis: Dort wurde eine halbe Stelle nur für Orgelunterricht auf dem Land eingerichtet. «Die Kollegin hat deutlich mehr Interessenten als Plätze», schreibt die Sprecherin. Die Orgel sei nach wie vor das Hauptinstrument in der klassischen nebenamtlichen kirchenmusikalischen Ausbildung. Aber auch die Ausbildung bei den Bläsern und im Popularbereich sei beliebt.
Bundesweit sei die Ausbildungslage bei hauptberuflichen Kirchenmusikerinnen und -musikern zurzeit recht stabil, allerdings sind die Bewerberzahlen bei Stellenausschreibungen rückläufig.
Kinder in Hannover haben weniger Zeit für Singen
Nachwuchs fehlt mancherorts auch bei den Kirchenmusikern in Hannover. «Es gibt nach wie vor Leute, die gern Orgel spielen, aber die Bereitschaft sich zu verpflichten und zum Beispiel auch am Wochenende zu spielen hat abgenommen», sagte eine Sprecherin des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises in Hannover der dpa.
Die Verbundenheit der Familien zur Kirche sei heute geringer, als etwa noch vor 50 Jahren. Sie leitet auch das Projekt «Kinder, Kirche & Musik» im Kirchenkreis. Die Begeisterung an Musik und Singen habe bei Kindern nicht abgenommen. «Kinder singen nach wie vor gerne, das Problem ist eher, dass sie heute länger in der Schule sind und dadurch weniger Freizeit haben», sagte sie.
Verband der Kirchenmusiker: Rente und zu viele Stellen
«Das Nachwuchsproblem ist ein seit über zehn Jahren befürchtetes und auch bekanntes Problem bei den Kirchen in ganz Deutschland», teilte Ingomar Kury, Vizepräsident des Verbandes Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VeM) der dpa mit.
Grund dafür sei demnach zum einen, dass die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, zum anderen aber auch, dass – entgegen dem Trend bei der Mitgliederzahl der Kirchen – nicht proportional dazu Stellen abgebaut wurden. «Die Kirchen möchte vielerorts noch an den Kirchenmusikstellen festhalten, finden aber wenig geeignete Bewerber», schreibt Kury.
Zu den weiteren Gründen zählt laut VeM, dass das Kirchenmusikstudium mit acht Semestern für den Bachelor und vier weiteren für den Master mit insgesamt zwölf Semestern zu den sehr langen Studiengängen gehört. Dieses Studium erfordere eine «mehr als durchschnittliche» musikalische Vorbildung (zum Beispiel im Orgelspiel) während der Schulzeit, um ein Studium aussichtsreich durchführen zu können. Junge Menschen müssen sich also schon während der Schulzeit festlegen.
Nachwuchs unsicher bei Arbeitsplatz
Zudem erlaubt der Beruf nur wenig Flexibilität: «Die Möglichkeiten außerhalb der Kirche mit einem Kirchenmusikexamen in eine Vollzeitbeschäftigung zu finden, dürfte ohne Weiterbildung und Umschulung schwierig sein, wer Kirchenmusik studiert, legt sich doch sehr auf den Arbeitgeber Kirche fest», teilte der Sprecher mit.
Zudem wirke der «Schrumpfungsprozess» der Kirche für einige auch abschreckend, da sie sich fragen, wie sicher Arbeitsplätze bei der Kirche noch sind. Thema ist auch die Arbeitsplatzsicherheit: Hier stehen Schulmusiker als Lehrer in allgemeinbildenden Schulen durch das Beamtenverhältnis besser als Kirchenmusiker.
Langfristig könne sich laut Kury der Mangel an und die schwache Besetzung mit professionellen Musikern auch bei der Ausbildung von Nachwuchs im semiprofessionellen Bereich auswirken, denn Bachelor- und Masterkirchenmusiker bilden normalerweise die C-Kirchenmusikerinnen und C-Kirchenmusiker (Ausbildungsdauer in der Regel vier Semester) aus.
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