Archäologen sind verärgert über die Bergung des 1919 vor Scharhörn gesunkenen deutschen U-Bootes U16. Hamburgs Landesarchäologe Rainer-Maria Weiss nennt das Vorgehen der Behörden «stümperhaft» und spricht von einer «illegalen Hauruck-Aktion». Bei der Bergung in der Nacht zum Montag war das Boot in zwei Teile zerbrochen.
Weiss erfuhr nach eigenen Angaben erst aus der Zeitung von der Aktion. «Es ist Hamburger Hoheitsgebiet und damit sind für alle Bodendenkmale rund um Scharhörn wir zuständig.» Er spricht von einer «groben Missachtung jeglicher Regularien».
Unter Normalbedingungen und fachlicher Aufsicht wäre das Boot seiner Ansicht nach nicht zerbrochen. Natürlich passiere immer mal wieder aus Versehen etwas, sagt Weiss der Deutschen Presse-Agentur. «Aber mit dem Vorhaben ranzugehen, ein bekanntes U-Boot, das identifiziert ist, einfach mal hochzureißen, das ist schon ziemlich einzigartig.»
Weitere Kritik
Ähnlich verärgert äußerte sich der Sprecher der Kommission für Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologie im Verband der Ländesarchäologien, Jens Auer. «Ich bin also ein bisschen sprachlos und kann auch nicht wirklich verstehen, wie man dazu gekommen ist, das so zu machen», sagt er dpa. «Also aus fachlicher Sicht ist das absolut inakzeptabel.»
Auer verweist auf ein in Deutschland etabliertes Regelwerk bei Bauvorhaben oder Bergungen. «Diese Aktion widerspricht einfach all diesen Regeln.» Dass sie von einer Bundesbehörde veranlasst wurde, sei besonders problematisch. Primäres Ziel sei die Erhaltung eines Denkmals an seinem natürlichen Standort. «Das ist ja schließlich deutsches Kulturerbe. Wir können das ja nicht einfach kaputt machen.» Zumindest müsse es vorher dokumentiert werden.
Dieses Prinzip werde bei jeder Pipeline im Meer verfolgt, alle Bauherren seien sich darüber im Klaren, sagt Auer. «Alles, was ich an die Oberfläche bringe, kann schnell problematisch werden.» Ausnahme sei die gesicherte Finanzierung einer Konservierung. «Die ja sehr, sehr teuer werden kann bei Unterwasserfunden.»
BSH rechtfertigt sich
Das 1911 in Kiel gebaute, 57 Meter lange Boot war auf der Auslieferungsfahrt nach Großbritannien gesunken. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bezeichnete die Bergung in einem Beitrag auf Linkedin als notwendig. «Denn nach der Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe wurde das Wrack der U16 für die Sicherheit der Schifffahrt und der Fahrrinnenunterhaltung relevant.» Es lag in rund 20 Metern Tiefe vor der Insel Scharhörn.
Das BSH berichtete, auf den Bildern eines Echolots ließen sich wassergefüllte Vertiefungen erkennen. Diese seien ein Grund für die häufigen Untersuchungen des Wracks gewesen, zuletzt 2023. Ein Teil des Wracks hätte sich so heben können, wenn die andere Seite gekippt wäre.
Bei der Bergung im Auftrag des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Elbe-Nordsee (WSA) kam ein Schwimmkran zum Einsatz. Während ein Teil seitdem auf einem Ponton im niedersächsischen Cuxhaven liegt, laufen Vorbereitungen für die Bergung des anderen Teils.
Rechtlich betrachtet gehört das Boot der Bundesrepublik. Ein WSA-Sprecher erklärte, «das Wrack der U16 ist als Teil der Bundeswasserstraße Elbe Eigentum des WSA Elbe-Nordsee bis es abgegeben wird». Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sei weder zuständig noch Eigentümer. Sie sei deshalb auch nicht beteiligt worden.
Seegrab?
Auer betont, zwar sei unwahrscheinlich, dass es sich bei U16 um ein Seegrab handele. «Normalerweise, wenn wir solche Kriegsreste vor uns haben, dann konsultieren wir den Volksbund für Kriegsgräberfürsorge und versuchen wirklich sicherzustellen, dass da eben niemand bei umgekommen ist. Denn ganz sicher kann man sich so nicht sein.»
Nach Angaben von Auer ist der Umgang mit solchen Denkmalen in den Ländern unterschiedlich geregelt. «In den 50er Jahren hätte man natürlich so ein Boot einfach gehoben.» Das sei mittlerweile aber nicht mehr so. «Das ist der Super-Gau archäologisch gesehen. Es gab keine Dokumentation, keine archäologische Begleitung, keine fachliche Begleitung, keine Recherche vorher, nichts.»
Ähnlich reagierte der Unterwasser-Archäologe Florian Huber, der als Projektleiter und Forschungstaucher mithalf, mit Hilfe von rund 30.000 Fotos ein detailliertes 3D-Modell des deutschen U-Boot-Wracks UC71 zu erstellen. Das 1916 gebaute U-Boot sank 1919 auf einer Überführungsfahrt nach England vor der Nordseeinsel Helgoland.
Huber nennt die Bergung von U16 eine «illegale Aktion» und einen «fatalen Schritt». «Das Wrack erzählt eine wichtige Geschichte des Ersten Weltkriegs – es darf nicht einfach hochgeholt und verschrottet werden.» Solche Eingriffe gefährdeten das historische Erbe. «Und sollte das Wrack dennoch ein Schifffahrtshindernis (gewesen) sein, dann hätte man es anheben und versetzen können.»
Zustand von U16 ist eigentlich gut
Der Erhaltungszustand von U16 wirke auf den Bildern der geborgenen U-Boot-Hälfte aber ausgezeichnet, sagt Landesarchäologe Weiss. «Das ist dickwandiger Stahl, da sind noch alle Versorgungsleitungen vorhanden. Das hat keine Fehlstellen, keine Durchrostungen. Dem geht es eigentlich richtig gut.» Statt es zu bergen, hätte man das U-Boot ein wenig anheben und ein paar Meter weiter wieder ins Wasser legen können.
Das geborgene Wrack werde nicht innerhalb weniger Tage wegrosten, sagt Weiss. «Es ist nur aus unserer Sicht kein archäologisches Objekt, das wir in unsere Obhut genommen hätten.» Weiss geht von einer Kette von Versäumnissen aus, die zu der Aktion führte. Ein Boot von solchem Kaliber spreche sich unter Militariasammlern und U-Boot-Fans herum. Man dürfe es auch nicht einfach einem Schrotthandel ausliefern. Nach Angaben der WSA haben bereits Museen wegen Exponaten angefragt.
Copyright 2025, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten