Island, Grönland und New York – hinter der Besatzung des deutschen Marineschiffs «Berlin» liegt eine besondere Seereise durch den Nordatlantik: von Polarlichtern bis zur Freiheitsstatue und dem 9/11-Gedenken in New York. In wenigen Tagen wird die «Berlin» nach fast einem halben Jahr Seereise zurück in ihrem Heimathafen in Wilhelmshaven erwartet. Im Interview erzählt Kommandant Karsten Uwe Schlüter, wie weihnachtlich es an Bord ist, was ein grünes Wesen damit zu tun hat und warum die «Berlin» kurz vor Fahrtende noch einen ungeplanten Stopp in Bermuda einlegen musste.
Frage: Herr Fregattenkapitän Schlüter, wo erreichen wir Sie und die «Berlin» gerade und was ist ihr Auftrag?
Antwort: Sie erreichen mich vor der französischen Küste auf dem Rücktransit in unseren Heimathafen Wilhelmshaven. Jeder Tag in See ist grundsätzlich ein Ausbildungstag und so nutzen wir momentan auch die Gelegenheit, gemeinsam mit der französischen Marine in See zu üben. Hieran schließt sich ein Übungs- und Ausbildungsvorhaben mit unseren eigenen Bordhubschraubern NH90 SEA LION in der Nordsee an.
Frage: Die «Berlin» ist als erstes Schiff der Deutschen Marine in Nuuk in Grönland eingelaufen. Warum rückt die Arktis stärker in den Blick der Marine?
Antwort: Die Versorgungs- und Nachschublinien der Nato verlaufen von Nordamerika über den Nordatlantik bis in die östliche Ostsee. Eine besondere, strategische Bedeutung hat die sogenannte GIUK-Lücke: das Seegebiet zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Über sie hinweg kann Russland die Nachschubwege der Alliierten direkt bedrohen. Die «Berlin» hat sich mit der Fahrt nach Grönland mit diesem besonderen Seegebiet weiter vertraut gemacht. Wir demonstrieren dadurch nicht nur unsere ständige Einsatzfähigkeit, sondern verdeutlichen auch unseren Willen, in herausfordernden Operationsräumen gemeinsam mit unseren Verbündeten präsent und wachsam zu sein, um unsere Interessen zu schützen.
Nebel, hohe Wellen und Eisberge
Frage: Konnten Sie an Land gehen, haben Sie Eisbären oder Polarlichter gesehen?
Antwort: Wir haben gemeinsam mit der dänischen Fregatte «Triton» in Nuuk, der Hauptstadt von Grönland, gelegen. Die Besatzung hatte neben Aufgaben wie der Durchführung von diplomatischen Empfängen oder Schiffsführungen auch die Möglichkeit, an Land zu gehen. Niemand aus meiner Besatzung war bisher auf Grönland, sodass diese Erfahrung für alle Kameraden der «Berlin» einzigartig gewesen sein durfte. Während wir in See tatsächlich auch Polarlichter bewundern durften, haben wir leider keine Eisbären gesehen – auch nicht auf Eisbergen treibend.
Frage: Einsatzgruppenversorger wie die «Berlin» sind die größten Schiffe der Marine. Wie sind Ihr Schiff und Ihre Besatzung mit den Bedingungen am Polarkreis zurechtgekommen? Welche Herausforderungen gab es?
Antwort: Wir haben mit der «Berlin» ein forderndes Seegebiet im nördlichen Nordatlantik beziehungsweise am Polarkreis befahren. Neben der offensichtlichen Kälte hatten wir es mit erheblichem Seegang, aber auch mit Eisbergen bei dauerhaftem Nebel zu tun. Das Schiff ist unter anderem für solche klimatischen Bedingungen gebaut und in diesem Seegebiet an der Nordflanke uneingeschränkt einsetzbar. Meine Besatzung hat während unserer Fahrt sehr viel über die dortigen Witterungsverhältnisse und deren Auswirkungen auf die Schiffsführung lernen können.
An der Freiheitsstatue vorbei
Frage: Danach haben Sie Station in New York gemacht. Was haben Sie dort erlebt?
Antwort: Zunächst einmal war es ein einmaliges Erlebnis, mit der «Berlin» in New York einzulaufen. Auf die atemberaubende Skyline dieser Weltstadt zuzufahren, während man gleichzeitig an der Freiheitsstatue vorbei steuert und der Bordhubschrauber über dem Schiff schwebt – das ist etwas Unvergessliches.
In New York selbst hat meine Besatzung den Landgang oft in ihrer weißen Uniform angetreten und so die Marine als «Botschafter in Weiß» vertreten. Die dortige Bevölkerung hat ausschließlich positiv auf unseren Besuch und meine Besatzung reagiert – es waren allerlei interessierte Nachfragen zu beantworten.
Ausgelaufen sind wir am 11. September 2025, einem geschichtsträchtigen Datum. Dieser Tag markierte vor 24 Jahren einen historischen Wendepunkt – ein Tag, der in seiner Grausamkeit die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften offenbarte, aber auch die Fähigkeit zur Solidarität unter Freunden und Partnern. Beim Auslaufen sind wir daher mit großen Bannern «9/11 Never Forget» den Hudson River entlanggefahren. Zu diesem bedeutenden Jahrestag haben wir so für die Deutsche Marine erneut unsere Solidarität mit dem amerikanischen Volk bekräftigt und der Opfer der Terroranschläge von 2001 gedacht.
Vorfreude auf Weihnachten an Bord
Frage: Nun sind Sie und Ihre Besatzung auf dem Heimweg. Kommt nach so einem Einsatz bei Ihnen an Bord überhaupt Weihnachtsstimmung auf?
Antwort: Die «Berlin» war lange in der subtropischen Klimazone bei entsprechenden Temperaturen an der Ostküste der USA unterwegs. Das klingt nun alles nicht direkt nach Weihnachten. Allerdings ist, kurz vor dem Ende unserer Fahrt, das nahende Weihnachtsfest etwas, das uns unseren Angehörigen wieder näherbringt – nicht nur räumlich. Die Weihnachtsstimmung stellt sich also nahezu von selbst ein.
Frage: Die «Berlin» ist ja ein Versorgungsschiff. Wie viel Lebkuchen und Christstollen haben Sie denn vor der Abfahrt für die Weihnachtszeit geladen?
Antwort: Wir sind im August 2025 tatsächlich ohne süße Weihnachtsspezialitäten ausgelaufen. Allerdings werden wir individuell gut mit Lebkuchen, Dominosteinen und anderen Spezialitäten aus Deutschland versorgt und können zudem Christstollen in unserer Bordbäckerei selbst herstellen.
Frage: Wie stimmt sich die Besatzung auf Weihnachten ein? Hat jede und jeder an Bord einen Adventskalender, wird vielleicht gewichtelt oder hat jemand einen Tannenbaum an Bord geschmuggelt?
Antwort: Pünktlich zum ersten Advent haben wir die zentralen Bereiche weihnachtlich geschmückt, darunter waren auch verschiedene Arten von Weihnachtsbäumen. In einem der Weihnachtsbäume hat sich sogar ein kleiner grüner Grinch versteckt – so ist für jeden etwas dabei! Die Militärseelsorge hat dazu jedem Besatzungsmitglied einen kleinen Schokoladen-Adventskalender zukommen lassen und in den vielen unterstützenden Paketen der Familien und Freunde zu Hause sind sicherlich auch noch reichlich vorweihnachtliche Artikel zu finden.
Krankheitsfälle bremsen Schiff aus
Frage: Vor ein paar Tagen musste die «Berlin» wegen einer Infektionskrankheit an Bord notgedrungen einen Zwischenstopp in Bermuda einlegen. Was war passiert und kommen Sie nun trotzdem rechtzeitig vor Weihnachten in Wilhelmshaven an?
Antwort: Ich hatte mich entschieden, mit der «Berlin» auf Bermuda einzulaufen, nachdem klar wurde, dass die Krankheitsfälle an Bord einer sicheren Passage des Atlantiks entgegenstanden. Ziel des Aufenthalts auf Bermuda war die bestmögliche Versorgung der Erkrankten und natürlich deren endgültige Genesung. Wir befinden uns nun seit dem 21. November auf dem Rückweg und freuen uns darüber, mit unserem Schiff wieder in See zu stehen und vor Weihnachten in Wilhelmshaven einlaufen zu können.
Frage: Worauf freuen Sie und Ihre Besatzung sich am meisten, wenn Sie wieder zu Hause sind?
Antwort: Ich freue mich darauf, meine Besatzungsangehörigen pünktlich vor Weihnachten wohlbehalten wieder an ihre Familien übergeben zu können. Meine Besatzung freut sich auf das Wiedersehen mit Familien, Liebsten und Freunden und darauf, gemeinsam mit ihnen die Weihnachtstage zu verbringen. So geht es auch mir: Ich freue mich, meine Familie wiederzusehen.
ZUR PERSON: Fregattenkapitän Karsten Uwe Schlüter (47) ist seit September 2023 der Kommandant des Einsatzgruppenversorgers «Berlin». Der gebürtige Braunschweiger wohnt mit seiner Familie in Bad Zwischenahn im Ammerland und ist Fan von Eintracht Braunschweig.
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