Mit dem Ort Bergen-Belsen verbinden Menschen weltweit die Verbrechen des Nationalsozialismus. In dem Lager in der Lüneburger Heide starb kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges die 15-jährige Jüdin Anne Frank, deren Tagebuch heute noch Schullektüre ist. Erstmals bietet die Gedenkstätte Bergen-Belsen an diesem Sonntag (14.30 Uhr) eine öffentliche Führung in russischer Sprache an. Darin geht es um «Vergessene Opfer» - so der Titel.
Gemeint sind Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Mehr als 20.000 wurden ab Juli 1941 hierher gebracht und zur Arbeit gezwungen - soweit sie dazu körperlich in der Lage waren. Unterkünfte gab es nicht genügend. Die Männer lebten auf freiem Feld und suchten Schutz in selbstgebauten Laubhütten und Erdhöhlen. Allein im Winter 1941/1942 starben mehr als 14.000 sowjetische Kriegsgefangene an Kälte, Hunger und Krankheiten.
Historikerin arbeitet an einem Totenbuch mit Namen
Der circa 90-minütige Rundgang wird auf Deutsch und auf Russisch angeboten. Er führt vom Gelände der Gedenkstätte zum etwa 600 Meter entfernten Kriegsgefangenenfriedhof. Anlass ist der 84. Jahrestag des Überfalls von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion an diesem Sonntag.
Auf dem Friedhof sind 19.580 Menschen bestattet. Die Historikerin Katja Seybold arbeitet an einem Totenbuch. Knapp 13.000 der Namen seien identifiziert, sagt die Wissenschaftlerin. Im Dokumentationszentrum Bergen-Belsen können Interviews mit überlebenden Kriegsgefangenen angehört werden. Das Interesse am Schicksal der Kriegsgefangenen steige, sagte Seybold. Auch viele nach Deutschland geflüchtete Ukrainer besuchten die Gedenkstätte und den Friedhof.
Insgesamt kamen in Bergen-Belsen rund 70.000 Menschen ums Leben. Im Konzentrationslager waren zwischen 1943 und 1945 rund 120.000 Männer, Frauen und Kinder interniert, etwa 52.000 von ihnen starben. Das Lager wurde im April 1945 von der britischen Armee befreit. Drei Monate zuvor war das Kriegsgefangenenlager geschlossen worden. Seybold zufolge stand möglicherweise deshalb das Schicksal dieser Opfer des Nationalsozialismus lange Zeit nicht so sehr im Fokus.
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