Ein Mann, der unter einer schlecht beleuchteten Unterführung oder im Wald einer Frau auflauert – das ist ein bekanntes Bild der Angst. Doch vor dem Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November betonen mehrere Beratungsstellen in Niedersachsen einhellig die aus ihrer Sicht größte Gefahr für Frauen: das eigene persönliche Umfeld.
Die meisten Fälle allgemeiner und sexualisierter Gewalt ereigneten sich nicht auf dunklen Straßen, sondern im häuslichen und sozialen Nahraum, wie mehrere Frauenberatungsstellen und Opferschutzverbände auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilten.
Einrichtungen warnen vor falschen Vorstellungen von Übergriffen
Die Einrichtungen warnen vor falschen Vorstellungen von Übergriffen im öffentlichen Raum. Eine Sprecherin des Frauenhauses Celle sagte: «Nach wie vor liegt für Frauen die größte Gefahr für einen gewalttätigen Übergriff im eigenen Zuhause.» Häusliche und partnerschaftliche Gewalt habe in den vergangenen Jahren zugenommen.
Auch der Frauennotruf Hannover verwies darauf, dass die Täter ‒ überwiegend Männer ‒ zumeist aus dem Umfeld der Betroffenen stammen. Sexualisierte Gewalt finde häufig dort statt, «wo ein Machtverhältnis und Abhängigkeiten eine Rolle spielen». Als Orte nannte das Team des Frauennotrufs unter anderem den Arbeitsplatz, Sportstätten, Kirchen, Bildungseinrichtungen und Gesundheitseinrichtungen – und das eigene Zuhause.
Gefährliche dunkle Straße ist «ein Mythos»
Für die Fachberatungsstelle Violetta in Dannenberg ist das verbreitete Bild der gefährlichen dunklen Straße «ein Mythos». «Die größte Gefahr geht nicht von Fremden aus, sondern von Menschen, die Betroffene kennen und denen sie vertrauen», hieß es von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt.
Rassistische Schuldzuweisungen lenken aus Sicht der Einrichtung vom eigentlichen Problem ab. «Sexualisierte Gewalt passiert mitten in unserer Gesellschaft – unabhängig von Herkunft, Religion oder Nationalität.»
Anzeige bekannter Täter fällt vielen Betroffenen schwerer
Das Fachzentrum Sichtbar in Braunschweig verweist auf einen mehrerer Gründe dafür, dass vertraute Personen für die meisten Übergriffe verantwortlich seien: Die Anzeige solcher Täter falle vielen Betroffenen schwerer als die von Fremdtätern. Das Fachzentrum gegen sexualisierte Gewalt forderte mehr Therapie- und Beratungsangebote sowie kürzere Wartezeiten. Die Politik müsse Präventions- und Interventionsangebote «finanziell auf sichere Füße stellen».
Weißer Ring fordert Einführung der Fußfessel
Der Weiße Ring in Niedersachsen wiederum beobachtet nach eigenen Angaben mehr Frauen als früher, die sich nach Belästigungen oder Übergriffen im öffentlichen Raum beraten lassen. Belästigungen passierten häufig an belebten Orten wie Innenstädten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Eine Sprecherin sagte: «Ein weiteres wirksames Instrument zum Schutz von Frauen vor Gewalttaten wird unzweifelhaft die Fußfessel sein.» Der Verein setzt sich seit Jahren für deren Einführung ein.
Istanbul-Konvention des Europarats soll Frauen besser schützen
Wie also könnten Frauen noch besser vor Gewalt geschützt werden? Der Frauennotruf Hannover spricht sich für eine sensible Befragung durch die Polizei und für mehr Gleichstellungspolitik aus. Das Frauenhaus Celle fordert eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention – das europaweite Abkommen des Europarats verpflichtet die Staaten, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt umfassend zu verhindern, Betroffene zu schützen und Täter wirksam zu verfolgen.
Mehr Frauenhausplätze, mehr Finanzierung, mehr Hilfsangebote
Laut dem Frauenhaus braucht es zudem mehr Frauenhausplätze. Die Fachberatungsstelle Violetta fordert auch eine verlässliche Finanzierung von Beratungsstellen und Schutzkonzepte. Auch der Verein Sichtbar spricht sich für einen Ausbau der Hilfsangebote aus.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) dringt darauf, die Plätze in den Frauenhäusern kostenlos zu stellen. In Niedersachsen müssten bislang im Schnitt 18 Euro am Tag gezahlt werden. Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 73 Tagen koste ein Platz die Frauen demnach mehr als 1.300 Euro. «Es kann nicht sein, dass es vom Geldbeutel abhängt, ob eine Frau in so einer schrecklichen Situation Schutz findet oder nicht», kritisierte SoVD-Landeschef Dirk Swinke.
Von 2032 an bekommen von Gewalt betroffene Frauen in Deutschland einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung. Auch der Sozialverband VdK in Niedersachsen und Bremen hält das aber für zu spät. «Hier muss unverzüglich nachgebessert werden, wir müssen unsere Frauen jetzt schützen», sagte VdK-Landesfrauenvertreterin Gunda Menkens. In akuten Gewaltsituationen sei das Frauenhaus ein wichtiger Zufluchtsort, doch es gebe nicht genügend Plätze.
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