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Was die Polizisten von morgen können müssen

Die Übung an der Waffenattrappe soll sicherstellen, dass jede und jeder mit dem Finger an den Abzug heranreicht. / Foto: Stefan Rampfel/dpa
Die Übung an der Waffenattrappe soll sicherstellen, dass jede und jeder mit dem Finger an den Abzug heranreicht. / Foto: Stefan Rampfel/dpa

Vom Purzelbaum bis zum Zahlencode: Das neue Auswahlverfahren der Polizei Niedersachsen bringt selbst durchtrainierte Kandidaten ins Schwitzen. So laufen die Eignungstests in Hann. Münden ab.

Mit einem Purzelbaum geht es los – und dann springen, rennen und robben die jungen Männer und Frauen so schnell sie können durch den Hindernisparcours in der Turnhalle der Polizeiakademie in Hann. Münden. Ihr Ziel: ein duales Studium bei der Polizei Niedersachsen. Dafür durchlaufen sie ein Auswahlverfahren, das für 2026 zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) komplett überarbeitet wurde.

Kurios dabei: Auf einer Skala von 0 bis 1.000 müssen sich die Bewerber möglichst weit nach unten arbeiten. Die Polizei spricht von einem Risikoscore. «Je niedriger dieser Wert ist, umso besser höher kommt der Bewerbende auf der Rangliste», sagt Anja Bußmann, Leiterin der Nachwuchsgewinnung.

Körperliche Fitness ist ein K.-o.-Kriterium

Das Auswahlverfahren erstreckt sich über drei Testtage: vom Sporttest und einem computerbasierten Multiple-Choice-Test an Tag eins über ein Präsentationsgespräch direkt am Tag danach bis hin zur polizeiärztlichen Untersuchung als letzte Hürde.

Der Parcours in der Turnhalle ist dabei eine der auffälligsten Neuerungen: Mit den Übungen – vom Balancieren über eine umgedrehte Bank bis zur «Rettung» einer 70-Kilogramm-Puppe – sollen die Bewerber ihre körperliche Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, und das in maximal 1:40 Minuten bei den Männern und 2:00 Minuten bei den Frauen. Einen Drei-Kilometer-Lauf, ebenfalls auf Zeit, haben die Kandidatinnen und Kandidaten da schon in den Beinen.

Der Fitnesstest ist ein K.-o.-Kriterium. Er fließt nicht mit Punkten in die Bewertung ein, aber: Wer die Aufgaben nicht in der vorgegebenen Zeit schafft, ist raus – und muss sich später erneut bewerben oder den Traum vom Polizeiberuf begraben. Einen Bonuspunkt erhält dagegen, wer nicht nur rechtzeitig im Ziel ist, sondern sich nebenbei noch den vierstelligen Zahlencode gemerkt hat, der während des Parcours ausfindig gemacht werden muss.

Anschließend greifen die Bewerber zur Waffe, besser gesagt: zu einer Attrappe der SFP9, der Dienstpistole der niedersächsischen Polizei. Der Hintergrund: Zwar gibt es keine Mindestkörpergröße für die Ausbildung. Aber die Bewerber müssen nachweisen, dass sie die Waffe ordnungsgemäß halten können – und auch tatsächlich mit dem Finger an den Abzug heranreichen.

Hunderte Fragen warten im Computertest

Im Vergleich zum alten Auswahlverfahren verlangt der Parcours den Bewerbern körperlich deutlich mehr ab. Selbst durchtrainierte Kandidaten kommen hier gehörig ins Schwitzen. Und das hat seinen Grund. Denn als der Sporttest bei der Bewerbung noch einzig aus dem Ausdauerlauf bestand, rasselten viele Polizeianwärter später an der Akademie durch die Sportprüfung.

Es bringe nichts, Leute einzustellen, die schon im ersten Jahr den Sportleistungsnachweis nicht erfüllen könnten, sagt Matthias Schwarze, Leiter des Projekts «Generation Zukunft Polizei». Jetzt gelte: «Wenn jemand diesen Sporttest hier besteht, schafft er auch den Sport im Studium.»

Zeitlich gesehen ist der Fitnesstest indes ein eher kurzer Teil des Auswahlprozesses. Wer ihn gemeistert hat, auf den wartet im nächsten Schritt ein rund dreieinhalbstündiger Multiple-Choice-Computertest mit Hunderten Fragen. Die Rede ist vom Scope-Test, eine Abkürzung für «standardisierte computerbasierte psychologische Evaluation». Unter anderem die Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, schlussfolgerndes Denken und Rechtschreibung, aber auch Persönlichkeitsfaktoren werden abgefragt. Mit welchen Fragen genau, das ist geheim. 

Wird auch der Computertest bestanden, erhalten die Bewerberinnen und Bewerber eine Übernachtung in der Polizeiakademie in Hann. Münden, um sich am Folgetag im Präsentationsgespräch zu beweisen. Besonders gute Kandidaten können direkt im Anschluss daran eine Direktzusage für das duale Studium erhalten, vorbehaltlich des Medizinchecks. Andere müssen warten, bis der gesamte Bewerberpool die Tests durchlaufen hat. Erst dann steht fest, ob ihr Score für den jeweiligen Einstellungstermin reicht oder nicht.

«Die wichtigste Waffe ist das Wort»

Neu im Auswahlverfahren der Polizei ist auch der Punkt «Werteorientierung». Dabei wird die Demokratiefestigkeit der Kandidaten abgeklopft. «Eigentlich ist es schon immer ein Thema, gerade für unsere Berufsgruppe, für die demokratischen Werte einzustehen», sagt Bußmann. «Aber wir wissen auch, dass es leider immer mal wieder Vorfälle gibt oder gab in der Vergangenheit, wo Kollegen oder Kolleginnen im Einzelfall nicht rechtsstaatlich gehandelt haben.» 

Spezielle Fragen etwa zum Demokratieverständnis, zu Rassismus und sexuellen Orientierungen sollen deshalb jetzt sicherstellen, dass die künftigen Polizisten die demokratischen Werte wahren. 

Zumal von der Polizei heute noch mehr Transparenz und Kommunikation erwartet werde als früher. «Die wichtigste Waffe ist das Wort», sagt Schwarze. Den Polizisten in spe solle daher vermittelt werden: «Redet lieber einmal mehr als einmal weniger. Die Leute müssen wissen, was jetzt passiert.»

Niklas Korsch sieht das ähnlich. Der 24-Jährige ist im zweiten von drei Studienjahren an der Polizeiakademie und steht kurz vor seinem ersten Praktikum. Eine Uniform hat er, wie alle Anwärter an der Akademie, bereits bekommen, ebenso wie den Zugriff auf grundlegende IT-Systeme der Polizei.

Auf jedes Wort der Polizei werde heute genau geachtet, und einiges lande auch im Netz, sagt Korsch. Deswegen sei es wichtig, immer fair zu bleiben und sich nicht angreifbar zu machen.

Seine Motivation ist es, für Gerechtigkeit zu sorgen. Oft komme die Polizei in Situationen, die bereits eskaliert seien – in diesen Momenten wolle er, «dass die Menschen, egal, welcher Herkunft, einfach fair behandelt werden und dass jedem das gleiche Recht zusteht», sagt der Polizeianwärter. «Ich alleine kann das nicht schaffen, aber ich kann vielleicht einen Teil dazu beitragen.»

Die Bezahlung an der Polizeiakademie beginnt bei rund 1.400 Euro netto im ersten Jahr, in den Folgejahren gibt es etwas mehr. Weniger als zehn Prozent schließen das Studium nicht ab. Im Vergleich zu den Hochschulen sei man mit dieser Abbrecherquote zufrieden, sagt die Nachwuchsexpertin Bußmann.

Häufige Missverständnisse über die Bewerbung bei der Polizei

Wie bei vielen Arbeitgebern sind jedoch auch die Bewerberzahlen der Polizei rückläufig: Gingen vor einigen Jahren noch um die 5.000 Bewerbungen ein, waren es in diesem Jahr erst rund 3.300. «Wir haben kein Problem, unsere Einstellungszahlen zu erfüllen. Aber man möchte natürlich auch auswählen aus einem Pool», sagt Bußmann dazu.

Bei manch einem sind es auch schlicht Missverständnisse, die ihn oder sie von einer Bewerbung abhalten – etwa, dass man einen deutschen Pass brauche oder keine Brille tragen dürfe, wenn man zur Polizei wolle. Beides stimmt nicht. «Da versuchen wir echt hart gegen zu arbeiten, auch in unserer Außendarstellung», sagt Schwarze. Auch sichtbare Tattoos sind per se kein Ausschlusskriterium – es sei denn, sie sind inhaltlich verwerflich.

Helfen soll eine moderne Ansprache potenzieller neuer Polizisten, wie zuletzt auf der vor allem bei Gamern beliebten Streaming-Plattform Twitch. Über sechs Stunden lang stellte die Polizei das neue Auswahlverfahren dort und auf Tiktok in Aktion vor. Mit Erfolg: Die Polizeiakademie zählte rund 245.000 Zugriffe.

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