Es ist der wohl seltene Fall, in dem der Richter Mitleid mit dem verurteilten Mörder zu haben scheint: «Es ist ungewöhnlich, weil wir die Höchststrafe verhängen bei einem Angeklagten, dem wir ausnahmslos alles glauben», sagt der Vorsitzende Richter Martin Grote zur Urteilsbegründung am Landgericht Hannover. Es spreche vieles für ihn, er habe sich seiner Verantwortung gestellt und es gebe «keinen Zweifel, dass er die Tat bereut». Doch fast vier Jahre nach dem Mord an einem Obdachlosen in der Eilenriede, dem Stadtwald von Hannover, muss ein 53-Jähriger lebenslang ins Gefängnis.
Grote betont nach dem Urteil: «Lebenslang bedeutet nicht zwingend: bis zum Lebensende.» Laut Strafgesetzbuch kann eine lebenslange Freiheitsstrafe frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, binnen einer Woche kann die Verteidigerin des glatzköpfigen und bärtigen Kroaten Revision einlegen.
Opfer stirbt im Juli 2021
Was ist passiert? Der Obdachlose stirbt am 6. Juli 2021 in der Eilenriede, ein Passant findet den Toten auf einer Parkbank - getötet mit mehreren Messerstichen. Ein Notarzt kann nur noch den Tod des Mannes feststellen, der an den mindestens sieben Messerstichen verblutet ist. Die Ermittlungen bleiben lange ohne Ergebnis, nach einem Fahndungsaufruf in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» gibt es Mitte 2022 neue Hinweise. Dann die Wende: Im November 2024 stellt sich der 53-Jährige überraschend der Polizei in Bielefeld.
Zum Prozessauftakt gesteht der Mann, macht aber auch klar, impulsiv gehandelt und die Tat nicht geplant zu haben. Das Klappmesser habe er immer dabei, warum er damit zugestochen habe - «ich habe keine Ahnung». Ein psychiatrischer Sachverständiger bescheinigt ihm, voll schuldfähig zu sein. Und: Er sei «zum Tatzeitpunkt psychisch gesund» gewesen, es habe sich um ein «singuläres Ereignis in seinem Leben» gehandelt. Nach der Tat habe er an psychischen Problemen gelitten, an Depressionen und Schlafstörungen bis hin zu Suizidgedanken.
Genervt und verärgert
Nach den Worten des Richters trifft der Verurteilte sein Opfer, das gewissermaßen «zum Stadtbild» gehört, am Tag der Tat dreimal. Allein durch das Dasein des Mannes habe er sich gestört gefühlt. Der 53-Jährige hält sich einige Tage in Hannover auf, um einen Job zu suchen, er ist nach den Worten des Sachverständigen genervt und verärgert. Er sieht seinem Geständnis zufolge, wie sich das spätere Opfer Frauen und Kindern nähert und undefinierbare Laute ausstößt, was diese als belästigend empfinden.
Als er ihn abends wiedersieht, nach einigen Bieren und mehreren Joints, «reißt bei ihm irgendwas», schildert Grote. Der Verurteilte sticht dem 54-Jährigen mit seinem Klappmesser in den Hals, rennt schon nach wenigen Sekunden weg, wäscht sich die Hände und flüchtet: «Das ist die ganz banale Tat.» Das Mordmerkmal der Heimtücke sei erfüllt - «leider, möchte man sagen».
Gericht geht von Tötungsabsicht aus
Damit folgt das Gericht dem Plädoyer der Staatsanwältin. Das Opfer habe den Angriff nicht kommen sehen, der 54-Jährige sei wehr- und arglos gewesen, sagte sie. Die Anklagebehörde gehe daher vom Mordmerkmal der Heimtücke aus. Verteidigerin Kerstin Koch betonte, die Tat sei ein «absolut spontaner Entschluss» gewesen, ihr Mandant habe zudem ein ausführliches Geständnis abgelegt - er sei kein Mörder.
Doch Richter Grote hält fest: Es gibt die Tötungsabsicht. Der jugoslawische Bürgerkrieg habe den Ex-Soldaten geprägt, dort habe er unter anderem als Scharfschütze gekämpft und wohl auch getötet: «Er macht genau das, was man als Späher hinter den feindlichen Linien tut», sagt der Richter mit Blick auf den Messerangriff. Ihm sei bewusst gewesen, dass die Messerstiche in den Hals tödlich waren.
Verurteilter fühlt sich verantwortlich
Der 53-Jährige selbst sagt in seinem letzten Wort vor dem Urteil: «Ich fühle mich verantwortlich.» Er bedaure jeden Tag, einen unschuldigen Menschen getötet zu haben. «Das war das Schlimmste, was ich je getan habe», sagt er. Wie lange er aber ins Gefängnis müsse - das sei ihm gleichgültig.
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